Die Filmkritik: Vor der Morgenröte

Immer, wenn mir ein Film besonders gut gefallen hat, so möchte ich ihn hier vorstellen. Jetzt ist es mir wieder einmal so ergangen:

Der Titel stammt aus Stefan Zweigs Abschiedsbrief, den er, als er zusammen mit seiner Frau Selbstmord beging in Petropolis/Brasilien, hinterlassen hat.

Was den Film so besonders macht ist sein Verzicht auf das Erzählen einer schlüssigen Geschichte. Als Zuschauer hat man nicht das Gefühl, eine polierte Story serviert zu bekommen, die stringent auf das Ende hin komponiert wurde. Man hat eher den Eindruck, zufällig Zeuge unterschiedlicher Situationen geworden zu sein, deren Zusammenschau eine (oder mehrere) Schlussfolgerung(en) nahelegt. Die werden für jeden anders ausfallen, je nachdem, wie viel eigene Biografie man gewillt ist hineinzustecken. Der Filmanfang suggeriert eigentlich etwas anderes: Mit liebevoller Detailfreude wir da ein Tisch inszeniert, an dem der Dichter (damals einer der akzeptiertesten der ganzen Welt) gefeiert werden wird. Das ist Interpretation, hingezirkelt. Aber danach ist Schluss damit.  Danach gibt es Szenen, die wir belauschen und beschauen dürfen; ohne Erklärung.

(An der Anfangsszene ist nur eines ärgerlich: Dass die Untertitel in Weiß vor einer weißen Tischdecke kaum zu sehen sind – ein technischer Lapsus, der nicht passieren dürfte!)

Was mich berührt hat, ist die Geschichte eines Mannes, der eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will, um seine eigentliche Mission so gut als möglich auszufüllen: Zu schreiben. Zeitzeuge zu sein („Was ich mir wünsche ist ein Ort auf dem Land. Ein Schreibtisch.“).

Zeitzeuge ist er, unweigerlich wird er hineingezogen in das Rettungsbusiness, das ihm durch seine Prominenz auf der anderen Seite des Atlantiks zufällt und dem er sich guten Gewissens nicht entziehen kann. Am Ende erfüllt ihn eine unendliche Müdigkeit (und Depression): Seine Welt geht unter, helfen kann er nicht wirklich, ruhig nach Worten suchen auch nicht mehr. Draußen vor der Tür das rohe, das erregende, das fremde Brasilien. Für ihn die Zukunft, an der er nicht mehr teilhaben mag. Was aber doch sehr deutlich wurde: Er war, lange vor allen anderen, ein echter Europäer. (Und das von einem, der zwei blutige Weltkriege, in denen sich Europäer gegenseitig massakriert haben, erleben musste.)

Was mich ebenso berührt hat wie das Schicksal des Schriftstellers ist das seiner Ehefrauen; besonders das der zweiten, Lotte (Charlotte Altmann – im wirklichen Leben; gut gespielt von Aenne Schwarz).

Sie war seine Sekretärin (das wird im Film nicht erzählt) und sie bleibt es irgendwie auch bis zum Schluss. Obwohl sie nicht zuletzt durch seine Schuld schwer an Asthma (?) erkrankt, wendet er sich ihr niemals zu, er bedauert sie nicht, hilft ihr nicht, schützt und stützt sie nicht. Auch im Tod, den sie sicherlich aus eigenem Willen mit zusammen sucht, ist sie ihm nicht einmal eine Erwähnung wert (in seinem Abschiedsbrief).

Auch, wenn Die Welt von Gestern (so der Titel eines seiner wichtigsten Werke) tatsächlich so gewesen sein mag:  Einen (Film-)Mann, dessen Herz und Denken nicht weit genug gewesen ist, um seine Lebensgefährtin zu umfassen, kann ich nicht mögen. Egal, wie groß seine literarischen Verdienste sind.

 

Zum Trailer und zur ZEIT hier.  Zum Inhalt da.  Mehr zu seinem Verhältnis zu den beiden Ehefrauen dort.

>nicht vergessen: Kinokarten einkleben, damit man sich gelegentlich erinnern kann….

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