Other Stories: Buntes Familienbild – was ist wohl die Kindergrundsicherung?

Familie Buntvogel sitzt beieinander im Nest. Die winzigen frisch und nackt geschlüpften Vögelchen Barbie, Beat und Bernd hocken unter den wärmenden Elternvogelbäuchen. Sie sind ausnahmsweise einmal still, weil sie eben tüchtig gefüttert worden sind. Sie hatten einfach die Augen geschlossen gehalten, aber die Mäulchen weit aufgesperrt und Papa und Mama hatten ihnen abwechselnd aufgebissene Heimchen, zerkleinerte Insektenflügel und Madenbröckchen hineingestopft. Kaum waren die kleinen Mägen ausgefüllt gewesen, waren die Küken eingeschlafen.

In der Schweiz nennt man sie Bibeli, sagt die Mama zärtlich.

Und in Südtirol heißen sie Pussile, antwortet der Papa, dessen Vorfahren angeblich aus dem Schwäbischen kommen.

Pussi? Sei nicht anzüglich, bitte. Ich bin fix und fertig.

Kippchen, sagt der Papa schnell, um seine Frau nicht zu verärgern, das ist mitteldeutsch.

Mitteldeutschland, wo ist das eigentlich?

Thüringen und so, glaub ich.

Aha.

Sie schweigen. Erschöpft von der Aufzucht, der Nahrungsbeschaffung, dem Schichtdienst. Es ist selten, dass sie so beieinandersitzen. Die Stille, die entsteht, wenn die Brut schläft, ist köstlich. Nach einer Weile öffnet der Papa den Schnabel und lässt einen Seufzer hinausschlüpfen.

Er hängt sich an den nächstgelegenen Ast und glitzert im Sonnenlicht. Mama Buntvogel sieht ihn sich an und wartet.

Eine Kippchengrundsicherung wäre schön, sagt er.

Na gut, denkt sie, etwas Politisches, das war ja klar.

Was ist das eigentlich, diese Kippchengrundsicherung?

Dauernd ist davon die Rede, sagt Papa. Alle zwitschern darüber. Die Amseln und die Bachstelzen, die Meisen und die Spatzen. Die Spechte, egal, ob grün, bunt oder kleiberig. Sogar die Eulen und Käuzchen tuten darüber, wenn es Nacht geworden ist. Wenn ich nicht schlafen kann, höre ich ihnen zu.

Und was sagen sie so?

Sie sind dafür. Oder dagegen.

Der Kuckuck, nehme ich an, sagt die Mama weise, der ist dagegen. Der braucht sie ja auch nicht, diese Kippchengrundsicherung, weil er seine Küken anderen unterschiebt. Die anderen brauchen sie dafür um so dringender, weil sie plötzlich eins mehr sattkriegen müssen.

Ja, sagt Papa, das ist ein Sozialschmarotzer. Aber Ausnutzer und Missbraucher gibt es ja immer. Allein wegen solchem Gevögel kann man ja ein gutes Gesetz nicht einfach sein lassen.

Mama nickt und schweigt. Dann sagt sie: Bedeutet die Kippchengrundsicherung, dass wir nicht mehr so viel Futter herschaffen müssen. Dass sie was bereitstellen, oder so? Und wir nur noch den Transport machen müssen?

Tja, sagt Papa. So. Oder doch so ähnlich. Vielleicht auch Hilfe beim Nestbau. Abschreibungen. Oder Wärmestuben, wenn es überraschend Nachtfrost gibt. Wasserbecken, vielleicht. Oder irgendwas mit Bildung, Gutscheine und so. Oder Schutz. Schutz vor Räubervögeln.

Was nun genau?

Papa Buntvogel zuckt die schmalen Vogelachseln: Frag mich nicht…

Hast du denn nicht mit den Eichelhähern geredet? Die sind doch für uns das, was die Hohen Zweibeiner Zeitungen nennen. Diese Papierdinger, von denen wir manchmal Schnipsel ins Nest flechten. Das steht das drinnen, was man wissen muss.

Ja…

Die Eichelhäher. Du hast doch gestern einen in der Eschenkreuzung drüben getroffen. Er muss es als Journalist doch wissen. Du hast mit ihm gezwitschert, ich habs gesehen.

Hab ich.

Und was hat er gesagt?

Mama Buntvogel wird allmählich unruhig. Die Brut wird gleich aufwachen und schreien. Bernd hat schon den Hals gereckt, Barbie hat leicht gezittert. Die träumt immer von einem Vogel, der Ken heißt, kurz bevor sie aufwacht. Das weiß die Mama. Woher? Vogelwissen halt, Instinkt.

Der hats auch nicht verstanden, der Eichelhäher. Er hat zwar laut und viel davon getrötet, aber was genau mit dieser Kippchengrundsicherung gemeint ist, hat er auch nicht gewusst.

Warum nicht? Das ist doch sein Job?

Drüber reden ist halt leichter. Leichter als einer Sache auf den Grund gehen. Es untersuchen. Es verstehen. Und dann so in Vogelsprech zu bringen, dass wir es auch kapieren. Wir Laienvögel, die nicht dauernd damit zu tun haben.

Warum macht die Regierung das nicht selber, die sich das alles ja ausdenkt?

Die haben dazu keine Zeit. Deshalb gibt es ja die Presse.

Und diese Pressekonferenzen, von denen man immer hört? Da, wo die vielen Eichelhäher auf einem Ast sitzen und zuhören. Und nicken, als ob sies verstanden hätten?

Ja.

Und wenn sies nicht verstehen? Dann müssten sie einfach so lange nachfragen, bis es klar ist? Sich nicht vorher zufrieden geben? Insistieren?

Ja, genau. Sie haben einen Auftrag.

Von wem?

Von uns. Dem Vogelvolk. Und von unseren gewählten Vogelvertretern. Sie müssen das Wissen von oben nach unten durchreichen. Deshalb gibt es sie. Deshalb haben sie auch Privilegien. Die Eichelhäher kriegen immer die dicksten Brocken.

Ja, aber, Mann, was krächzen und klappern sie dann so viel den ganzen Tag? Diese Eichelhäher, wenn sie doch auch nichts wissen?

Sie reden von anderen Dingen. Von Dingen, bei denen sie sich auskennen. Wie Schwingenspreizen und Balztanzen. Wie wer seine Federn richtet. Wer wen aus dem Nest boxen will. Wer nie was abgibt, wenn er fettes Futter gefunden hat. Wer sich was zustecken lässt. Solche Sachen. Immer auf einzelnen Akteuren, deren Aussehen und deren Motiven rumhacken, das können sie besser. Das ist unterhaltsamer. Für den, der schreibt, und für den, der liest auch.

Und darüber vergisst man das, was eigentlich wichtig wäre? Weil man soviel Spaß hat?

So ist es.

Ist eigentlich eher so was wie Klatsch und Tratsch. Was die Spatzen immer so machen, wenn sie tschilpen, dass einem die Ohren wehtun? Aber, warte mal, weißt du denn immer, was wichtig ist? Jetzt zum Beispiel?

Was denn?

Heimchen herschaffen. Bibeli, Kippchen und Pussile reißen schon wieder die Mäuler auf. Ich bleib bei ihnen. Du bist dran. Mach die Flatter, Mann!

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Vogelbild von Monika Doerfler, danke!

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