Nicht nur unter Corona haben wir erkannt, wie wichtig persönliche Unterhaltungen zu einzelnen Themen sind. Weil es aber physisch nicht immer geht, müssen wir uns online unterhalten, so zum Beispiel per eMail.
Wir wollen ab jetzt ab und an kurze Statements veröffentlichen, die uns unsere Leserinnen und Leser spenden. Wir fragen, sie antworten spontan. (Nicht unähnlich der Runde, die uns schon zum Thema Sinnlich sein oder werden ihre Ansichten spenden (zu finden unter den Frivolini).) Es geht nicht um Tiefschürfendes, sondern um ein paar Sätze, die uns verraten, wie jemand über eine gewisse Sache denkt.
Wir haben uns wieder getroffen – virtuell natürlich. Und uns – und die Männerrunde – mit folgender Frage beschäftigt:
Worüber wird nicht genug geredet? Über vieles wird ja ( öffentlich ) zu viel geredet, aber über manches gar nicht. Was vermisst ihr? Politisch oder privat, aus beiden Feldern sind Antworten denkbar.
Hier ist Barbara aus Fürth:
Barbara sagt:
Ich heiße Barbara und bin nach der Juristerei auf die Kunst gekommen. Eine Kunst, die zum Nachdenken und Loslassen anregen soll und die ich mit Leidenschaft betreibe.
Das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ fällt mir natürlich dazu ein. Nicht das Thema; hinsichtlich der Anwendung haben sich schon viele kluge Köpfe geäußert.
Auf den ersten Blick – verfolgt man beispielsweise facebook – wird eigentlich über alles geredet. Strukturell wird die Kommunikation von Milliarden Menschen allerdings auch reguliert und eingeengt. Durch die Flut der posts besteht wohl die reale Gefahr, einfach abzuschalten und nichts mehr zu vermissen.
Von daher ist es schon nicht so einfach, zu sehen, worüber nicht geredet wird.
Ein Beispiel aus dem Pflegebereich fällt mir ein, in dem immer und immer wieder – in jedem Pflegeportal – von den vielen Hilfsmöglichkeiten für Pflegebedürftige die Rede ist.
Ich vermisse die Ehrlichkeit, einzugestehen und darüber zu reden, dass es solche Hilfen gerade im Kurzpflege- und Verhinderungspflegebereich de facto nicht gibt.
Ich vermisse u.a. klare Aussagen der politischen Entscheidungsträger zu ihren Entscheidungskriterien, insbesondere welchen Einflusssphären sie unterliegen. Dies gilt insbesondere auch dazu, wie Politik mit Wissenschaft umgeht.
Schwierig zu sagen,was ich im privaten Bereich vermisse!
Wer sollte mich gerade hier hindern, über ein Problem zu sprechen? Es liegt in meiner Hand, über persönliche Probleme wie auch gesellschaftliche Fragen zu reden. Wenn ich etwas vermisse, dann ein Diskurs ohne Angst und Befangenheit.
Liebe Grüße
Barbara
Hier ist Anika aus Radbruch:
Worüber wird nicht genug geredet?
Ich bin Anika. Schreiben war schon immer mein Ding. Schon in der Grundschule hatte ich Brieffreundschaften, später sogar weltweit. Und heute bekomme ich als freie Journalistin sogar Geld dafür. Außerdem bin ich Briefe-mit-dem-Füller-Schreiberin, Postkarten-Liebhaberin, in meinem Wohnzimmer steht eine antike Schreibmaschine zur Deko und auf meinem Herzen habe ich viele Tintenflecken.
Auf diese Frage gibt es mindestens so viele Antworten wie Menschen auf der Welt.
Ich war im Oktober auf der Buchmesse in Frankfurt. An einer der Bühnen wartete ich auf den nächsten Programmpunkt, als sich eine junge Frau neben mich setzte, meine Tattoos auf dem Arm musterte und fragte: „Aus welchem Harry-Potter-Haus kommst du?“ In dem Moment habe ich mich total gefreut. Es fühlte sich direkt so an, als wäre ich hier unter „meinesgleichen“. Hier werde ich verstanden und kann nun stundenlang mit dieser Frau über Slytherins, Knuddelmuffs, Johnny Depp, Quidditch, Snape und meinen absoluten Lieblingsort sprechen.
Jemanden zu finden, der das gleiche Lieblingsthema hat, über das man gern redet, ist nicht immer einfach. Mein Mann spricht gern über das Thema Photovoltaik. Er hat eine Anlage auf unserem Dach installiert und redet seitdem kaum über was anderes. Wie „schön“ das Wetter ist, macht er am Ertrag fest. Regelmäßig ruft er aus dem Büro an und sagt, ich solle alle möglichen Maschinen starten, damit die Energie vom Dach genutzt wird. Und als neulich in der Nachbarschaft der Strom ausfiel, schrieb er in die WhatsApp-Gruppe, dass bei uns noch alles läuft. „Ach, stimmt ja. Wegen unserer Batterie…“
Jeder hat mindestens ein Thema, über das er nicht genug reden kann. Zu meinem Job als Journalistin gehört es, mich mit Menschen über ihre Lieblingsthemen zu unterhalten. Und ich liebe es ganz besonders, wenn mein Gesprächspartner für sein Thema brennt und kaum ein Ende findet. Oft springt der Funke über und er schafft es, mich zu begeistern, sodass ich viel zu lange Texte schreibe. So habe ich ständig neue Dinge, über die ich nicht genug reden oder schreiben kann.
Viele Grüße und bis zum nächsten Mal!
Hier ist Ines aus Böblingen:
Worüber wird nicht genug geredet?
Mit 18 Jahren war ich in der Stuttgarter Kunstakademie, seither bin ich das, was man Freischaffende Künstlerin nennt mit Schwerpunktthema „Mensch“. Froh bin ich über Literatur und glücklich, wenn ich ein schönes Buch in Händen halte.
Genug geredet wird über Wölfe, zuwenig geredet wird über Schafe.
Schäfereien kümmern sich um Zucht und Verwertung (Milch, Fleisch, Wolle) und um Landschaftspflege! gefördert von der EU. Seit 2020 ist die Süddeutsche Wander-und Hüteschäferei Teil des Bundesweiten Verzeichnisses des immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO- Kommission.
Geredet wird über Täter und warum sie zu Kriminellen wurden.
Zu wenig geredet wird über Opfer von Kleinkriminellen. Wie geht es Menschen, die bestohlen wurden, die man betrogen hat, hereingelegt? Wie umgehen mit der Demütigung und mit dem folgenden Vertrauensverlust? Wie oft wird diesen Opfern gesagt, sie seinen selbst schuld, hätten sie halt aufgepaßt, wären nicht so naiv gewesen, hätten sich anders gekleidet….
Reden wir über Schafe!
Herbstliche Grüße,
Ines
Hier ist Daniela aus Düsseldorf:
Worüber wird nicht genug geredet?
Ich bin Daniela aus Düsseldorf, kann ortsunabhängig arbeiten und reise gern in mein Lieblingsland Spanien!
Hier nun mein Gedanke zu deiner Frage. Das kann ich eigentlich gar nicht beurteilen, weil ich kaum noch Nachrichten höre oder lese. Seit der Corona Berichterstattung ertrage ich diese Überfülle von Informationen nicht mehr.
Aber im Zweifel wird zu wenig gesprochen oder Dinge oder Menschen, die keine Lobby haben. wie z.B. Altersarmut und ihre Verhinderung.
Oder gute Nachrichten. Die will keiner hören. Ist ja keine Sensation, es fehlt der Nervenkitzel.
Oder über entwürdigende Zustände in Pflegeheimen.
Oder über überlastete Erzieherinnen in Kitas, weil man da keine Lösung für hat, die Überforderung abzuschaffend. Und die Überforderung geht zulasten der Kinder und Bewohner, die sich nicht wehren können. Und der Mitarbeiter.
Aber irgendwer verdient an den Systemen. Da spricht man zu wenig bis garnicht drüber.
Mit besten Grüßen
Daniela
Hier ist Lea aus Aachen:
Worüber wird nicht genug geredet?
Ich bin Lea, Altruistin, Misanthropin, halb freiberufliche Texterin und Übersetzerin für Leichte Sprache, halb Geschäftsführerin eines gemeinnützigen Vereins, ohne menschlichen Anhang, dafür wunderbar fest verbunden mit dem unglaublichsten Profiplüschtier der Welt, meiner Blindenführhündin Arzu.
Liebe Nessa,
eine sehr schöne Frage. Ich finde, es wird sowohl öffentlich als auch
privat zu wenig über Beweggründe geredet. Wenn mehr erklärt würde, warum
jemand etwas tut oder nicht tut, etwas will oder nicht will und sich so
verhält, wie er oder sie es eben tut, hätten Menschen viel bessere
Chancen, einander zu verstehen und nachzuvollziehen, warum Dinge
passieren. Die meisten Menschen machen sich nicht die Mühe, Dinge zu
erklären, oder werden sogar aktiv daran gehindert, weil jede Erklärung
als Rechtfertigung missinterpretiert wird. Dadurch ergehen sich dann oft
alle in Vorhaltungen und gegenseitigen Anschuldigungen, anstatt sich mal
zu überlegen, aus welchen Gründen, Bedürfnissen oder Ideen heraus ein
bestimmtes Verhalten oder ein Ziel entstanden ist. Da jeder Mensch im
Grunde etwas aus ihrer oder seiner eigenen Sicht Gutes bezweckt, lohnt
es sich, ein Verhalten zu verstehen und dann erst zu beurteilen, wie
sinnvoll es ist. Dinge nur aus der eigenen Perspektive heraus sofort zu
verurteilen und die Anderen für böse oder dumm zu halten, löst keinen
Konflikt und hilft in keiner Krise – wovon wir ja leider auf allen
Ebenen genug haben und dementsprechend alles daransetzen sollten, diesen
negativen Umständen so konstruktiv wie möglich zu begegnen.
liebe Grüße
Lea
Hier ist Nessa aus Böblingen:
Worüber wird nicht genug geredet?
Mich kennen Sie natürlich. Ich bin Nessa Altura, die Betreiberin dieses Blogs. Und ich bin diejenige, die hier die Fragen stellt.
Mich stört schon lange, dass über die Verteilung von Armut und Reichtum so wenig geredet wird. Allerdings sind dazu gerade jetzt sehr interessante Vorschläge gemacht worden – veilleicht also kommt doch noch Schwung in dieses Thema.
Ich halte es für die vornehmste Pflicht der Politik, sich darum zu kümmern, dass die Schere zwischen oben + reich und unten + arm nicht immer weiter aufgeht. In den letzten (neoliberalen) Jahren ist da wenig bis gar nichts dagegen unternommen worden. Ich möchte nicht, dass wir am Ende wieder in feudalen Verhältnissen landen*. Da Menschen immer nach Diffrenzierung streben, ist die Tendenz zur Auseinanderdividierung stets vorhanden. Und stets muss dagegen gearbeitet werden.
Da wünsche ich mir viel öffentliche Diskussion zum Thema. Wir dürfen nicht nur im Bewältigen von Krisen aufgehen, wir müssen auch darüber reden, wie wir die Zukunft vorbereiten.
*“Wenn die Menschen kein Brot haben, dann gebt ihen eben Kuchen!“ (Marie Antoinette)
Ihr Lieben, vielen Dank für eure Antworten. Besonders die Schafe haben es mir angetan…
PS.: Sie möchten auch gefragt werden? Bitte melden – einen Platz hätten wir noch frei!
Sie mögen unsere Runde? Dann folgen Sie ihr! Alle bisherigen Beiträge unserer Runde können Sie auf einer Seite nachlesen. Und wie wärs, wenn Sie mitmachten?