Der Brutalist – die Filmkritik

Endlich einmal wieder großes Hollywood-Kino: die bombastische, zuweilen gar schmerzhaft intensive Filmmusik, die wie gemalten Landschaftsbilder, die Zeit, die sich der Film lässt, um den Dampf, den zB ein Zug ausstößt, wirken zu lassen. Und das Zusammenspielen unterschiedlichster Medien wie Musik, Stimme, Werbung, Sprachen (ungarisch, italienisch und englisch, Werbesprech, Unter- und Oberschichtsidiom, schwarzer Slang), die Textsorten (verlesene Briefe, Architekturmagazine, Zeitungsseiten, Erstausgaben von Büchern ). Und natürlich die Schauspieler, die ihre Rollen kongenial beherrschen: Adrien Brody als László Tóth und Guy Pearce als Harrison Lee Van Buren.

Selbstverständlich handelt der Film von der Nachkriegszeit, in der einerseits die Narben des Erlebten noch schrecklich schmerzen (Rollstuhl, Stummheit, Drogensüchtigkeit), und sich andrerseits der ungeheure Optimismus (Protz-Mausoleum für die Mutter, getarnt als Bürgerzentrum) der Aufbauzeit Raum verschafft. Während letzterer hell und naiv-brutal ist, ist das Vergangene düster und sadistisch-böse.

Der Film zeigt aber auch das Amerika von heute und ist damit schauerlich aktuell: die white supremacy, die nicht diskrimiert werden kann, aber ihrerseits schamlos diskriminiert. Der skrupellose Kapitalismus mit seinem Recht des Stärkeren. Das sich dieser Stärkere (der weiße alte Mann) nimmt, wenn man ihn lässt…

Und damit ist der Counterpart gesetzt: der zarte, eigensinnige Osteuropäer mit seiner Kunst, der nur schwach protestieren kann. Hier der kantige zahnige Unterkiefer des Amerikaners, dort die nicht den Schönheitsidealen entsprechende Nase des Juden. Da treffen sich zwei, die nicht miteinander und nicht ohne einander können, weil einer den anderen braucht: Extra- und Introvertierter, Künstler und Mäzen, Herr und Sklave, Vergewaltiger und Vergewaltigter. Einander zwanghaft verbunden durch Wünsche und Begierden, die nur der andere erfüllen kann.

Haupthema des überlangen Filmes ist die Architektur, die – wie am Ende auf der Biennale in Venedig (leider) von einer Tochter oder Nichte erklärt werden wird.

Dass nach den Brutalitäten von Nationalsozialisten und Weltkriegsgemetzel nur brutal und klaustrophobisch (die Gefangenenzellen in Buchenwald und in Transportzügen) gebaut werden kann, glaube ich eigentlich nicht. Genauso wenig wie es, so denke ich, stimmte, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben konnte.

Aber dass ein Bruch hermusste nach dieser existenziellen Erfahrung, denke ich schon: in der Malerei das Abstrakte, in der Architektur statt des imperialistischen Wilhelminismus die Strenge des Bauhauses, und nach den schwelgerischen Versen Rilkes die coolen Töne Bert Brechts…

US Flagge

Architekturkundigere als ich haben auf Daniel Libeskind verwiesen, dessen Berliner Jüdisches Museum tatsächlich zu dieser Deutung passt. Oder auch sein Hochhaus-Ensemble in Singapur (Reflections at Keppel Bay), das an Ground Zero erinnert.

Der Brutalist

Wie immer bei guten Werken der Kunst gibt es vielschichtige Möglichkeiten der Interpretation – man könnte ein ganzes Buch füllen mit den Zitaten, den Verweisen, den Anspielungen, den Leitmotiven dieses Films.

Große Kunst. Fürwahr. Ich wünsche ihm tatsächlich einen oder mehrere Oscars. (Jetzt hatte ich versehntlich „Orcas“ getippt – was soll das bedeuten?)

Wir werden sie vermissen: Unsere Heroes und Sheroes! Wir sammeln ein paar wenige Nachrufe auf einer Seite. Es gäbe noch viele andere, aber niemals reichen Platz und Zeit für alle…leider!

Wir sammeln alle Rezensionen von Büchern und Filmen auf einer Extra Seite.

One response

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert