Les Miserables. Oder die Wütenden. Der Film. Die Rezension.

Kürzlich habe ich mir die Frage gestellt, weshalb so wenige Filme in Milieus spielen, die wir nicht kennen. Oder umgekehrt: Warum man immer wieder diesselben Milieus im Kino sieht: Mittelklasse, Wohlhabende, Luxusklasse. Die Antwort liegt natürlich auf der Hand: Filmemacher filmen das, was sie kennen. (Ken Loach mal ausgenommen).

Und welcher Filmemacher kommt schon aus den Tiefen eines Ghettos, aus der Hölle der Pariser Banlieue? Ladj Ly, der Regisseur von Les Miserables, ist in der Banlieue aufgewachsen und saß drei Jahre im Gefängnis.

Trailer

Les Miserables. Oder die Wütenden. Der Film.

Ganz großartig schon die Eingangszene, die etwas von der Wucht der Emotionen ausstrahlt, denen man in den kommenden Minuten ausgesetzt sein wird. Ohne den Inhalt hier nacherzählen zu wollen: Es geht um ein Löwenbaby, das von der einen Seite (Ghettojugend) versteckt und von der anderen (Staatsgewalt=Polizei) gesucht wird.

Kam einem zunächst die Wahl eines Löwenbabys als Zentralmotiv etwas gewollt vor, so begriff man als Zuschauer bald, welch mächtige Metapher Ladj Ly da gewählt hatte.

Les Miserables. Oder die Wütenden. Die Schauspieler

Nachdem die Ghettokids sich selber spielen erlebt man die Schauspieler als sehr authentisch. Man sieht gern in ihre Gesichter, die so vielfältig (und auch manchmal so exotisch und schön) sind wie die Ethnien, die da auf engem Raum zusammenleben.

Auch die der Gegenpartei, der Polizisten, sind gut gewählt: uneindeutig im Charakter (am wenigsten der Chef der Truppe – ein verkappter Autokrat mit sadistischen Tendenzen), optisch durchschnittlich, schwankend in ihren Reaktionen. Mehr als reagieren können sie kaum – die Banlieue ist eine Kampfzone, in der das Gesetz des Stärkeren gilt. Großartig auch der offene Schluss.

Les Miserables. Oder die Wütenden. Victor Hugo.

Und was hat der Dichter damit zu tun? Eine Schule im Viertel ist nach ihm benannt, erfährt man im Film. Victor Hugos Elende sind die Wütenden von heute. Und nicht von ungefähr so: Wenn man Heranwachsende ohne Väter groß werden lässt (und die Mütter in die Wohnungen verbannt sind), so überlässt man formende Einflüsse anderen: bärtigen Muslimbrüdern, die sich kümmern (aber vielleicht verborgene Ziele verfolgen), Drogendealern, Gurus, überfordernden Capos. Oder der desinteressierten, wenn nicht sogar bösartigen Staatsmacht.

Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner.“ Victor Hugo

Les Miserables. Oder die Wütenden. Ein Klassiker?

Der Film hat das Zeug zum Klassiker. Absolut sehenswert.

PS.: Man fragt sich natürlich: Was muss anders werden? Die Antworten, sie sich aufdrängen in dieser Reihenfolge: besserer Städtebau, Treffpunkte für die männliche Jugend (Nein, keine Bibliotheken, das hat sich nicht bewährt, aber vielleicht Sporteinrichtungen wie Fitnessstudios und Boxclubs (denn physische Stärke ist wichtig), Sozialarbeiter, Sozialarbeiter, Sozialarbeiter (die die nicht vorhandenen Väter ersetzen können), staatlich geförderte Aufenthalte im Rest des Landes, damit der Blick sich weitet… und allem voran natürlich: Keine Ghettos. Keine Diskriminierung, sondern Bildung und Förderung… das setzt allerdings voraus, dass man wirklich etwas ändern will.

Und vielleicht wäre es ein guter Anfang, die Ghetto-Bewohner selbst zu interviewen…?

Nach neuester Gesetzeslage: Vorsicht! Rezensionen sind Werbung!

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